Im Gespräch: Die “Schrott”-Plastiken auf dem Ernst-Abbe-Platz

Was steckt alles hinter den Plastiken auf dem Ernst-Abbe-Platz? Wir haben mit Babett Forster gesprochen um mehr über die Geschichte unserer Universität erfahren.

Auf dem Ernst-Abbe-Platz befand sich einst das Hauptwerk von Carl Zeiss. Jetzt befindet sich dort ein Uni Campus und für viele Studierende ist es neben den Bibliotheken eine Art zweites Zuhause. Auf dem Platz befinden sich mehrere große Plastiken aus Metall. Für die meisten sehen die Skulpturen aus wie Schrott und so werden sie auch von fast allen genannt. Jeder hat sicher schon mal den Satz gehört: „Wir treffen uns dann später vor dem großen Schrotthaufen“.

Aber hat sich die Universität da wirklich Schrott auf den eigenen Campus gestellt? Wir haben Babett Forster befragt, ihres Zeichens Leiterin der Kustodie der FSU Jena. Die Kustodie bewahrt universitäre Kunst- und Kultursammlungen. Zu dieser Sammlung gehört auch der „Schrott“. Mit dieser Bezeichnung ist Forster allerdings nicht ganz zufrieden.

Babett Forster: Ich weiß „Schrott-Plastiken“ haben sich eingebürgert, aber verzeihen Sie mir, ich als Kunsthistorikerin und Kustodin, möchte diesen Begriff nicht nutzen, sondern einfach ganz neutral von den Plastiken von Frank Stella sprechen. Aber ich verstehe natürlich, dass dieser Begriff sich eingebürgert hat – das ist einfach so.

Die Skulpturen kreierte der renommierte US-amerikanische Künstler Frank Stella. Im Jahr 1996 erhielt er die Ehrendoktor der Philosophischen Fakultät der FSU und noch im gleichen Jahr wurden die Plastiken auf dem Abbe-Campus installiert. Stella ist nicht nur Objektkünstler, sondern auch Maler, Bildhauer und Vertreter des Minimalismus.

Forster: Der Minimalismus untersucht die Kunst auf Grund ihrer medienspezifischen Eigenschaften. Was macht ein Bild aus, wenn der Bildinhalt fehlt? Was macht ein Bild aus, wenn es keinen Wirklichkeitsbezug mehr hat?

Die Plastiken gehören zur sechsteiligen Serie „Hudson River Valley“. Fünf der Statuen gingen in Besitz der Universität über, die Sechste vermachte Stella Jenoptik. Dessen damaliger Vorstandsvorsitzender Lothar Späht war ein großer Unterstützer der Plastiken.

Das Hudson Flusstal, welches der Plastik seinen Namen gab, teilt sich in seiner Geschichte viele Ähnlichkeiten mit dem Saaletal. Beide Gebiete spielten eine zentrale Rolle in der Landschaftsmalerei. Außerdem waren beide Flüsse, der Hudson und die Saale, ein wichtiger Faktor für die Industrie ihrer jeweiligen Region. Jedoch zerfielen die Industriestädte entlang des Hudsons mit dem Rückgang der Stahlproduktion.
Auch den Ernst-Abbe-Platz hat die Industrialisierung beeinflusst und geformt. Das greift Stella in seinen Plastiken wieder auf.

Forster: Ein Strukturwandel über das Material zu dokumentieren, so wie Stella es in den Plastiken gemacht hat, kann man auch in Jena vollziehen. Wenn man sich mal überlegt, dass an diesem Ort das ehemalige Zeiss-Werk stand. Ein unglaublich bedeutender Industrieort. Dann der Abbau nach 1945 durch die Reparationsleistungen, dann die Teilung. In der DDR wurde es wieder aufgebaut. Dann nach 1990 die komplette Teilung in Jenoptik und Carl Zeiss. Bei diesen Transformationsprozessen entsteht Müll, Stahl, Aluminium – Schrott. Wie Sie ja auch zu Recht die Plastiken teilweise bezeichnen. Von daher könnte man es lesen, als Zurückholen des Schrottes in die Stadt.

Auf eine doch schöne Art und Weise. Stella kippt den Schrott nicht einfach hin, führt uns ihn aber als künstlerisches Werk vor.

Um die Geschichte der Skulpturen wissen viele nicht. Nachdem sie nun schon über 20 Jahre auf dem Ernst-Abbe-Platz stehen zeigen sich die erste Zeichen der Zeit. Hauptsächlich in Form von Graffiti und Stickern. Ist das Vandalismus und verunstaltet die Plastiken oder fügt es zu ihrem Wirken bei?

Forster: Öffentliche Kunst ist immer der Bevölkerung ausgesetzt. Man muss auch damit rechnen, dass mit der Kunst umgegangen wird. Wir haben auch Kunstwerke in der Stadt, die von ihrem Aussehen her leichter zugänglich sind. Bietet mir aber jemand Schrott an, dann gibt es natürlich die Gefahr, dass ich damit auch umgehe, als sei es Müll.

Ich persönlich würde es nicht als Vandalismus bezeichnen. Es ist für mich eine Auseinandersetzung mit dem Kunstwerk und eine Kundtuung der Meinung.

Für Forster sind die umstrittenen Plastiken ein Blickfang, der nicht einfach nur schön für die Augen ist, sondern auch eine Reaktion hervorruft und zum Nachdenken anregt.

Forster: Mir gefällt an diesen Stücken, dass sie das typische Schema von „schön“ und „hässlich“ aufbrechen. Sie stellen uns ein Material vor, das bei industriellen Prozessen entsteht. Wir sondern es normalerweise aus und bekommen es gar nicht zu Gesicht. So wird uns die eigene Geschichte – die Industrialisierung – vor Augen geführt.

Ich bin auch etwas stolz, dass wir Plastiken von Frank Stella hier in Jena haben. Das kann nicht jedes Bundesland von sich behaupten.

Wir bedanken uns für das Gespräch bei Frau Forster

Bildquelle: Privat