Eulenspiegel: EU-Asylkompromiss

Letzte Woche haben sich die Innenminster:innen der EU auf ein gemeinsames Asylsystem geeinigt. Rebecca hat sich in ihrem Politikwissenschaftsstudium schon mit der EU beschäftigt und kommentiert die Entwicklung.

Die EU will es wieder tun: Ihre Außengrenzen noch aktiver schützen und Geflüchteten die Einreise erschweren, wenn nicht sogar unmöglich machen. Der neue Asylkompromiss von Luxemburg bringt die Friedensnobelpreisträgerin Europäische Union an ihre Grenzen. Das Gemeinsame Europäische Asylsystem – kurz GEAS – mag eine kollektive Errungenschaft sein, ein Erfolg ist es aber nicht.

Was wurde eigentlich beschlossen? Kurz gesagt: Der Umverteilungsmechanismus der EU-Staaten wurde angepasst. Im Schnellverfahren soll jetzt geprüft werden, ob eine Person überhaupt eine Bleibeperspektive in der EU hat. Geflüchtete aus sogenannten sicheren Herkunftsländern haben dann quasi keine Chance auf ein Leben in der Union. Damit diese Prüfung nicht in der EU stattfindet, sollen Asylzentren in Grenznähe errichtet werden.

Also Flüchtlingslager wie Moria an den EU Außengrenzen. Moria? Vielleicht erinnert ihr euch noch, vor drei Jahren brannte das Lager und die EU-Staaten sahen großteils zu. Davon soll es also bald mehr geben.

Festung Europa ist der Vorwurf von links – der rechte Rand freut sich. Wobei der rechte Rand gar nicht mehr so am Rand zu stehen scheint. Wenn ein SPD geführtes Innenministerium das neue Gesetz als historischen Erfolg bezeichnet, ist migrationsfeindliche Politik schon längst in der Mitte angelangt.

Der Aufschrei über die Entscheidung war groß – aber ist diese Entwicklung wirklich überraschend? Als Politikwissenschaftlerin habe ich mich im Studium mehrfach mit der EU beschäftigt und weiß, das Friedensprojekt Europa ist vor allem nach innen friedlich. An den Außengrenzen sieht das anders aus.

Die Friedens- und Konfliktforschung ist eine Subdisziplin der Politikwissenschaft und die EU in darin ein spannendes Forschungsobjekt.

Übrigens, wer denkt, Frieden sei das bestimmende Element in der Politik, irrt gewaltig. Zwar heißt es “Friedens- und Konfliktforschung” aber nicht Frieden, sondern Sicherheit bestimmt das Denken in der Politik. Der jeweilige Sicherheitsbegriff bestimmt wiederum das Handeln.

Im Laufe der Jahre haben sich verschiedene Sicherheitsbegriffe entwickelt. Von rein territorialem und militärischen Denken – also Schutz des Gebiets – bis hin zu humanitären Denken. Also Schutz der Person. Humanitäre Sicherheit nennt sich das.

Die EU verpflichtet sich in ihren sicherheitsstrategischen Dokumenten genau diesem humanitären Sicherheitsbegriff – schon seit über 20 Jahren. Humanitäre Sicherheit wurde zum ersten Mal 1994 als Solche benannt und ist knapp gesagt die Freiheit, frei von Not und Angst zu sein. Ein allumfassendes Konzept also, das für alle Menschen gilt. Alle Menschen.

Ich habe während meines Masterstudiums in einer Hausarbeit untersucht, ob die EU ihrem Anspruch nach humanitärer Sicherheit an ihren Außengrenzen nachkommt. Konkret: im Flüchtlingslager Moria.

Anhand verschiedener Berichte von zB der UN und Amnesty international habe ich geprüft, ob die EU bestimmte Kategorien der humanitären Sicherheit gewährleistet. Dazu gehören unter anderem Nahrung, Gesundheitsschutz und politische Sicherheit.

Mein Fazit: “Das Ergebnis ist ernüchternd: Die EU erfüllte nicht die notwendigen Bedingungen, um humanitäre Sicherheit im Flüchtlingslager Moria zu gewährleisten. Zwar werden einige Komponenten (phasenweise) erfüllt, zeitgleich jedoch nie alle notwendigen.”

Das Ergebnis war also, dass die EU sich nicht an ihre eigene Leitlinie der humanitären Sicherheit hält. Kein überraschendes Ergebnis, denn diesem Vorwurf muss sich die Friedensnobelpreisträgerin schon lange stellen – sowohl in der Wissenschaft als auch im öffentlichen Diskurs.

Der Beschluss vom 9. Juni zur GEAS überrascht mich entsprechend auch nicht. Die EU hält sich schon lange nicht mehr an ihre eigene Konzepte – humanitäre Sicherheit ist eine reine Floskel geworden. Denn wer sagt, dass er alle Menschen – auch außerhalb des eigenen Territoriums – schützen will, kann nicht so handeln, wie es die EU tut. Vielleicht muss der Titel Friedensnobelpreisträgerin angepasst werden – ein Sicherheitsnobelpreis wäre näher an der Realität. Die Frage, die bleibt, ist: Wessen Sicherheit?