Die CD der Woche: Joe Hertz – Current Blues

Wie bringt man elektronische Musik und tiefer liegende Emotionen zusammen? Der britische Songwriter und Produzent Joe Hertz zeigt auf seinem Album “Current Blues”, wie man im Jahr 2020 empfindsame Vibes und kraftvolle Beats kombinieren kann.

Wollte man dem Ganzen ein Prädikat anheften, könnte man es mit “Electro-Soul” versuchen. Oder man kann für eine gute Dreiviertelstunde alle Kategorien beiseiteschieben und sich schlicht auf einer Welle von Melancholie und Lebensfreude, Düsterkeit und Sommersonne treiben lassen.

Gebürtig aus Brixton, tritt Joe Hertz auch ein bisschen in die Fußstapfen seines Vaters Pete Tong, der sich vor allem als Radiomoderator bei der BBC einen Namen gemacht hat und als einer der renommiertesten DJs von Großbritannien in den Nightclubs von Ibiza und Miami zu Hause ist. Auch wenn Joe sich das ein oder andere von ihm abgeschaut hat – seine Leidenschaft sieht er, wie er selbst in einem Interview mit dem EUPHORIA. Magazine sagt, eher anderswo: Musik machen und damit Leute verbinden.

Mit balearischen Partyhymnen hat “Current Blues” tatsächlich wenig gemeinsam: Bereits auf seinem Debütalbum findet Joe Hertz nach seiner Entwicklungsphase als Bedroom-Produzent zu einer eigenen, erwachsenen Musiksprache im weiten Electronica-Kosmos. Entlang eines roten Fadens verbindet er eine breite Palette von Musikfarben und Genres zu einem gefühlvollen Gesamtpaket, das mit jedem Song diese eine besondere Stimmung einfängt, aber jedes Mal aus einem anderen Blickwinkel beleuchtet. Keine Schublade mag da so wirklich passen: Hip-Hop trifft auf Soul, Latin Jazz trifft auf Dubstep. Scheinbare Gegensätze führen immer wieder zu überraschenden Klangszenerien, über denen der Gesang der Gastmusiker zur vollen Entfaltung kommt.

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Bei dieser Trackliste stehen vor allem die Emotionen im Vordergrund, ohne dass die Platte an irgendeiner Stelle in Sentimentalität oder Kitsch abdriften würde. Dafür sorgen die unsauberen Bässe und die abwechslungsreiche Rhythmik, hier und da ein paar Jazzakkorde, Shuffle- und Breakbeats.

Besonders aussagekräftig werden die Tracks durch die sorgfältig ausgewählten Vocals, die mit dem restlichen Arrangement in einer perfekten Synergie verschmelzen. Wie ein Instrumentalpart fügen sich die charaktervollen Stimmen junger Künstler in den Gesamtklang jedes einzelnen Titels ein. Joe Hertz reizt die volle Bandbreite an Spielarten des Rap- und R&B-Gesangs auf mannigfaltige Weise aus, was man besonders schön bei “Rain in Cuba” sieht.

Mit “Beneficios” versetzen uns Joe Hertz und Kablito musikalisch an einen weiten, verlassenen Sandstrand am türkisblauen Meer, vielleicht mit einem Caipi in der Hand. Eisgekühlte Basslinien und jazzige Synthieeinsätze über einem Latin Groove lassen uns dabei gleichzeitig über die Vergänglichkeit dieses Moments und des Sommers nachdenken…

Dagegen fängt der Song “Møøn” mit dem ätherischen Gesang der brasilianischen Künstlerin Nonô einen Hauch von der Stimmung ein, die einen trifft, wenn man in einer lauen Spätsommernacht in den sternenübersähten Himmel blickt und sich dabei wünscht, man könnte dem Mond einfach schwerelos entgegenschweben. Gleichzeitig erinnert das erdige Basssegment daran, dass wir fürs Erste auf dem Boden bleiben müssen…

Der Zeitpunkt der Veröffentlichung fällt eher ungewollt in einen Sommer, in dem so vieles anders ist. Die CD fängt damit – ebenfalls eher zufällig – das seltsame Lebensgefühl dieser Tage ein. Ein Album perfekt für den Moment – um etwas wehmütig auf die schönen Sommer zurückzublicken, die wir bisher erleben durften. Ein Album, um mit Vorfreude auf zukünftige Sommer zu blicken, und um uns gleichzeitig über die Sommersonne zu freuen, die wir auch 2020 trotz allem genießen können.