Jena steckt mitten im Herbst – vorbei ist die Zeit der Strandbesuche und der Beachvolleyball-Matches unter sengender Sonne. Ein verwaschenes Grau dominiert den Himmel und lädt zum Musikhören im warmen Zuhause ein. Es ist der perfekte Zeitpunkt um den Alltag mit etwas Jazz aufzupeppen – hierfür hat Musikeule Tim das neue Album “V” der Jazz-Sängerin Niia rausgesucht.
Jazz ist ein Genre mit einer langen Geschichte und einer Fülle an Subgenres, die ihre jeweils eigenen Charakteristika tragen. Genau deswegen ist es nicht verwunderlich, dass die kontemporäre Jazz-Szene ein Nährboden für Künstler ist, welche experimentierfreudig das Potential der Musikrichtung erkunden. Mit dieser Herangehensweise schwingt sich auch die Sängerin Niia an ihr neues Projekt “V”, und holt traditionellen Jazz inhaltlich und klanglich in die Moderne.
Niia Bertino kommt 1988 im US-Bundesstaat Massachusetts auf die Welt und wächst in der geruhsamen Stadt Needham auf. Ihre Mutter stammt aus Italien und ist klassische Pianistin, schon früh beginnt sie die junge Bertino im Klavierspiel zu unterweisen. Ein paar Jahre später stellt sich jedoch heraus, dass die Stimme ihrer schüchternen Tochter größeres Potential aufweist. Als Teenagerin verliebt sich Niia Bertino in den Jazz und fängt an kompetitiv in den Musikprogrammen ihrer Schule mitzuwirken. Ihre Bemühungen führen sie zu einem Musikstudium nach New York, wo sie 2007 durch Zufall den Produzenten Wyclef Jean kennenlernt. Dieser erkennt das Talent der jungen Sängerin schnell und öffnet ihr die Tür in die professionelle Musikbranche. Im gleichen Jahr erscheint Niia als Feature auf der Single “Sweetest Girl (Dollar Bill)” von Wyclef Jean, ihr Musikstudium bricht sie für ihre Karriere ab. Nach mehreren Jahren Zusammenarbeit mit dem Produzenten veröffentlicht die italienisch-amerikanische Sängerin 2013 ihre erste Single “Made For You” unter eigenen Namen. Solo als “Niia” findet sie ihre Stimme in der Jazz-Szene und veröffentlicht seitdem regelmäßig neue Alben.
“V” ist ein passender Titel für das neue Album, es ist das fünfte Werk im Katalog von Niia. Auf dem Albumcover posiert sich die Musikerin mit einer Ketzergabel, ein Folterinstrument zur Bestrafung von diejenigen, die sich gegen alte Dogmen aussprachen. Es soll ihre uneingeschränkte Herangehensweise zeigen, den Jazz mit modernen Themen und Einflüssen von Alt-Pop und Electronic zu konfrontieren. Der Opener “fucking happy” präsentiert bissige Lines über das Erhalten des seelischen Friedens bestärkt von Saxophonmelodien und einprägsamer Percussion. Auf dem Song “Throw My Head Out The Window” schwebt die Musik mühelos mit warmen Synthmelodien und verspielten Bassakzentuierungen. Mehr betrüblich und dennoch hoffnungsvoll singt Niia auf dem Track “The Awful Truth” über eine Beziehung, in der beide Partner sich in einem toxischen Muster gegenseitig fesseln – wo der Ausbruch aus dem Beziehungskäfig die einzige Sicht auf Erlösung ist.
Zurückgezogene Covers von Jazz-Klassikern gefolgt von Mixturen aus Akustikinstrumenten und elektronischen Beats machen “V” zu einem Album, wo Tradition auf Moderne trifft. Niia zeigt als Künstlerin gekonnt den Jazz als Fundgrube, die Unmengen an unerforschtes Potential bereithält. Hier wurde viel versucht und viel geschafft, ein verdienter Platz beim Campusradio Jena Album der Woche.