Manchmal fühlt sich die Zeit endlos an, manchmal vergeht sie im Flug – je nachdem, wie wir sie erleben. Genau dieses Spiel mit Tempo und Wahrnehmung beherrschen The Ocelots auf ihrem neuen Album Everything, When Said Slowly meisterhaft.

Das irische Indie-Folk-Duo, bestehend aus den Zwillingsbrüdern Ashley und Brandon Watson, hat seinen musikalischen Weg in den Straßen Europas begonnen. Nach ersten Erfolgen mit ihrer EP Till We Get There, die über 1,7 Millionen Mal gestreamt wurde, dem Debütalbum Started to Wonder (2020) und der EP Addlepated (2023), kehren die beiden nun mit ihrem zweiten Longplayer zurück.  Ihre musikalische Reise begann als Schulband in Wexford, bevor sie sich nach einer Europareise neu erfanden. Die darauffolgenden Rucksackreisen entwickelten sich zu ausgedehnten Tourneen durch Europa und Australien, wo sie sich eine treue Fangemeinde erspielten. Ende 2023 kehrten sie nach Irland zurück, um an Everything, When Said Slowly zu arbeiten.

Produziert von ihren langjährigen Weggefährten Cillian und Lorcan Byrne, kreist das Album thematisch um irische Migration, das Wahrnehmen von Zeit, Liebe und, nun ja, auch um Fahrräder. Der Titel *Everything, When Said Slowly* geht auf die Worte eines alten Iren zurück, der den fortschreitenden Wandel seiner Heimatstadt Wexford – und damit auch der Ocelots – reflektierte: Die Jahre mögen vergangen sein, doch gesprochen in einem einzigen Atemzug, wirken sie plötzlich kurz. Diese Perspektive prägt die melancholische Grundstimmung des Albums. Musikalisch vereinen The Ocelots auf beeindruckende Weise Absurdität und Aufrichtigkeit in einer Sammlung literarisch inspirierter Tagträume. Offene Gitarrenstimmungen und das Clawhammer-Banjo erschaffen eine nachdenkliche Country-Folk-Atmosphäre, die weit über romantisierte Cottagecore-Klischees hinausgeht. Stattdessen entfalten sich die Songs in urbanen Bildern und unvorhersehbaren Stilbrüchen. Eingespielt in den Orphan Recording Studios von Gavin Glass, fängt das Album die rohe Live-Energie der Brüder ein. Flöten, Synthesizer, Mundharmonika und sogar ein altes Buchladen-Harmonium verleihen den Songs zusätzliche Tiefe und Charakter.

Mit diesem Album beweisen The Ocelots, dass Unvollkommenheit, Stilbrüche und Tempowechsel nicht nur musikalisch reizvoll sind, sondern auch tief berühren können – unser Campusradio Jena Album der Woche!